Frank Corcoran

irish composer

2011 H.D.GRUENEFELD REVIEW

Kammermusik von Frank Corcoran,

Komponist aus Irland

Inseln sind Soziotope für sich, ihre Ufergrenzen bestenfalls wie semi-permeable Membranen, die nur bedingt Einflüsse von außen durchlassen. “Irland (Eire) ist eine Insel am Rande von Europa, aber kaum europäisch”, meint Frank Corcoran, dort 1944 in Tipperary geboren. Als Komponist war er mit der Situation konfrontiert, dass klassische Musik sich erst während des 20. Jahrhunderts in Irland sukzessive etablieren konnte.

Um dem engen Radius seiner Heimat zu entkommen, studierte Frank Corcoran in Dublin und Rom alte Sprachen, Philosophie und Theologie sowie in Berlin Komposition bei Boris Blacher. Von 1983 bis 2009 war er Professor für Komposition an der Staatlichen Musikhochschule für Musik und Darstellende Kunst in Hamburg. Über sich selbst sagt er: “Ich komponiere aus innerer Notwendigkeit.” In seinem Œvre (4 Symphonien und andere Orchesterwerke, eine Gilgamesch-Oper, Vokal- und Elektroakustische Musik sowie Werke für Ensemble) beschäftigt sich Frank Corcoran oft mit irischen Sujets, erforscht die Geschichte und die Funktion der Sprachen von Eire (Keltisch oder Gälisch und Englisch) als Klangtopographie, insbesondere mit der Themengruppe um den verrückten mittelalterlichen König Sweeny. Ein anderer markanter Interessenstrang ist seine zeitgenössische Revision kanonisierter klassischer Formen, denen er “Quasi”-Titel (z. B. Quasi Una Missa) gegeben hat. Beide Zyklen sind auf mehrere Genres verteilt.

Kammermusik ist in diesem Zusammenhang für Frank Corcoran ein ebenso unverzichtbarer wie signifikanter Faktor: ” Nach einem gelungenen Orchesterwerk habe ich Appetit auf Kammermusik, und umgekehrt. Da ist eine seltsame Wechselwirkung in meinem ganzen Leben als Komponist. Doch Kammermusik generell ist keine Verkleinerung von Orchestermusik. Die ist ganz anders. Da denke ich in Klangmassen, weil schon die Streicher chorisch besetzt sind. Gut, die können auch solistisch gesplittet werden, aber zusammen sind sie Klangmassen, in Akkordik, und Balance mit und gegen Klangmassen. Kammermusik erlaubt eine transparentere Linearität, größere Flexibiltät und extensivere Polyphonie. Und Kammermusik ist für Besetzungen ab zwei bis zwölf Solisten, mit und ohne menschliche Stimme. Sie hat essentielle Bedeutung für mich, schon als Idee, weil ich mit dieser normalerweise bescheidenen Anzahl von Instrumenten viel tiefer in das Geschehen gehen kann, auch in der Komplexität des Ausdrucks. Nur eine Minute Musik muss schon eine gewisse Komplexität haben, sonst erreicht man nicht den Zustand von Kunst. Dennoch ist gute Musik zugleich immer einfach, in einem Wort: simplex.” Auf der Basis dieser Maxime hat Frank Corcoran eine spezielle Methode entwickelt, “um den Zeitfluss attraktiv zu gestalten. Als junger Mann erhielt ich den Auftrag für ein Trio (Klavier, Violine und Cello), und ich hatte Angst, dass die drei Instrumente nicht harmonisieren. Aus dieser Schwäche machte ich eine Stärke. Ich komponierte je eine Schicht für die Instrumente, und diese auch metrisch verschiedenen Schichten befinden sich in permanenter Interaktion, etwa wie störrische Dialoge von Cello und Violine gegen das groteske Boogie-Woogie-Muster des Klaviers. Aus solcher Flexibilität von Schichten, die wie bei James Joyce und seinem literarischen stream of consciousness mit- und gegeneinander fließen, resultiert eine Unschärfe, als ob ein riesiger Akkord ins Wackeln gerät. Und diesen Zustand nenne ich Makrokontrapunkt.” In dieser Hinsicht war das Klaviertrio für Frank Cocoran “ein Durchbruch” fürs Stilbewusstsein.

Repräsentativ fürs Streichquartett als Gattung im 20. Jahrhundert sind für Frank Corcoran die Werke von Béla Bartók, György Ligeti und vor allem von Witold Lutos?awski, Repertoire, das erwegen der polyphonen Dichte als Referenz betrachtet. “Und in meinem 3. Streichquartett kam noch Kunst als Ambiente hinzu, denn die Uraufführung fand in der Hugh Lane Sculpture Gallery Dublin statt. Die Interaktionen der vier Stimmen sind ohnehin sehr komplex in den Klangfarben, und sie wurden durch die Gemälde zusätzlich optisch intensiviert.” Ebenso changieren die Klangfarben im “Wind Quintet (Nr. 1)” in Kontrasten von Diskant- und Bassregistern sowie in der Zerstreuung und Vernetzung der Stimmen, während das “Wind Quintet – Sweeny’s Wind Cries” eine ziemlich kompakte Faktur hat.

Neben diesen traditionellen Formationen hat Frank Corcoran einige unkonventionelle, ja exzentrische Besetzungen für Kammermusik gewählt. Etwa zu einem Auftrag der Kultursenatorin der Hansestadt Hamburg aus dem Jahr 1995, um mit einer Komposition an die Befreiung von Auschwitz zu erinnern. “Das war ein unmögliches Problem, denn ich bin weder deutsch noch jüdisch, aber ich habe es doch irgendwie gelöst und Fünf Trauerfelder für vier Schlagzeuger komponiert, die je bis zu 8 Instrumente zu bedienen haben. Da hat man mindestens 20 Instrumente, aber nicht gleichzeitig. Und in diese Klangminiaturen, jedes Bild dauert nur 3 Minuten, habe ich maximale Klangdifferenzierungen, Verschachtelungen von Farben und Ausdruck hinein gebracht. Nach der Uraufführung kamen einige alte Mitglieder der Jüdischen Gemeinde Hamburg mit Tränen in den Augen auf mich zu und sagten: Trauerfelder ist die Musik, die wir an diesem Tag gebraucht haben.” Historischen Bezug hat auch die perkussive “Music For The Book Of Kells”, nämlich eine Reminiszenz an die Christianisierung Irlands, bei der sich Klosteraskese in Röhrenglocken-Signalen zeigt, dumpfe Trommeln und helle Becken auf einen gewissen Heroismus hindeuten.

Gefühle gibt es zwar in den Instrumentalwerken, haben aber “ohne Konstruktion keinen klangästhetischen Wert, bleiben als privates Bekenntnis versteckt und Zuhörer sollen davon nichts wissen.” Dennoch verschweigt Frank Corcoran nicht, dass ” ich mich nach dem schrecklichen Tod meines ersten Sohnes in den 80er Jahren lange selbst erforscht und eine bestimmte Motivik in fast jeder meiner Kompositionen entdeckt habe. Das waren die Töne vom Gregorianischen Requiem. Ist das ein Programm, ist das Faszination, ist das Fixierung, ist das Fetisch? Meine Musik hat natürlich großen emotionalen Gehalt, aber ich verbalisiere dieses Thema nicht.” Anders ist die Situation allerdings bei Kammermusik mit Vokalpart, da werden Gefühle evident, denn eindeutiger als pure Noten sind mit ihnen Worte: “Als Ire habe ich zwei Sprachen. Und weil wir Iren nicht den Willen haben, Gälisch als erste Nationalsprache zu pflegen, leben wir permanent im Bewusstsein, dass wir genial, aber rebellisch und reaktionär an der Oberfläche der englischen Sprache tanzen. Für mich ist Literatur oder besser: die Sprache an sich fundamental und eine Quelle der Inspiration.” So ist “The Light Gleams” (an instant / Das Licht leuchtet einen Augenblick) dem Drama “Warten auf Godot” von Samuel Beckett (eine Auftragskomposition zum 100. Geburtstag des irischen Nobelpreisträgers) entnommen und “entspricht perfekt seiner selbstsicheren Position. Das Ensemble unterstützt, festigt, hinterfragt, betont und koloriert die fünf vom Sopran gesungenen Wörter, viele Male, und die Stimme ist ein integraler Teil des Ganzen, wie ein gleichberechtigtes Instrument.” Eine sehr expressive Darstellung existenzieller Erfahrung in verzweifelt exaltiertem Duktus.

Auch die gerade am 14. März 2011 in der Church Of Christ, New York, vom North / South Consonance Ensemble unter der Leitung von Max Lifchitz erfolgreich uraufgeführten “Songs Of Terror And Love” (zu Texten von Jacopone Da Todi) haben schon im Titel stärkste emotionale Spannungen.

“Mein neues Werk ist für Basso, sehr schwierig und fürs so genannte Pierrot-Ensemble, also Violine oder Viola, Cello, Klavier, Klarinette oder Bassklarinette und Flöte. Da haben wir nach dem Modell von Arnold Schönberg sehr viele Möglichkeiten fürs Kolorit. Das interessiert mich sehr. Und diese Instrumente bei meinen Songs Of Terror And Love begleiten oder illustrieren, negieren oder addieren die Bass-Stimme.”

Eher untergeordnet sind Bearbeitungen, genauer: zwei Fugen von Johann Sebastian Bach (BWV 876 und BWV 878) hat Frank Corcoran fünfstimmig für Kammerensemble (Flöte, Oboe, Klarinette, Horn, Perkussion, Klavier, Violine, Viola, Cello und Kontrabass) arrangiert, “eine Huldigung und Spaß und Spiele. Wir haben von Kolorit gesprochen. Am Anfang der einen Fuge hatte ich als Kolorit eine Jazztrommel und dadurch einen gewissen Swing. Das war gut gemeint, aber stilistisch falsch. Bach ist zu gut, deshalb Hände weg von seinen Originalen.”

In conclusio ist Kammermusik für den kleinen Raum bestimmt, wo “Flexibilität des Denkens und der Realisation möglich sind. Man braucht für Kammermusik eine andere Sensibilität als bei Opern oder Sinfonik”, eine Bereitschaft zum intensiven Zuhören. Doch Frank Corcoran beobachtet auch, “dass wir jetzt kein oder kaum echtes Publikum für zeitgenössische Musik haben. Seit dem Tod von Claude Debussy 1918, sind mehrere komplizierende Faktoren in die Gleichung gekommen: Rezeption und Vermarktung, Globalisierung und Internet. Richtig ist: Kammermusik ist voces intimae, Tagebuch, bis heute.”

Hans-Dieter Grünefeld

www.frankcorcoran.com

Diskographie

Kammermusik von Frank Corcoran

Music For The Book Of Kells (1990)
Frank Corcoran, Klavier; Percussion Modern (Hamburg), Ltg.: Dieter Cichiewicz

Wind Quintet (1992)
Stuttgart Wind Quintet, Ltg.: Willy Freivogel

auf:
Frank Corcoran
Mad Sweeny
Black Box 1026
(Vertrieb: www.cmc.ie)

Sweeneys Smithereens (2000)
Ensemble für Neue Musik München, Ltg.: Dieter Cichewiecz

5 Trauerfelder / Goirt an Bhróin (1996)
Perkussion Ensemble München, Ltg.: Dieter Cichewiecz

Fünf Lieder ohne Worte (1984)
für Oboe, Englisch Horn, Posaune, drei tiefe Streicher, Klavier und Schlagzeug
Das Neue Werk NDR, Ltg.: Dieter Cichwiecz

auf: Frank Corcoran
Zeitklang / Composers’ Art Label 13017
(Vertrieb: Klassik Center Kassel)

Piano Trio (1978)
Hesketh Trio

Rosenstock Lieder (1980)
Sabine Sommerfeld, Sopran; Hamburg Trio

The Wind Quintet “Sweeney’s Wind Cries” (1999)
Daedalus Quintet

auf:
Frank Corcoran
Mad Sweeney’s Shadow
Col legno WWE 20214
(Vertrieb: Harmonia Mundi)

Quasi Un Pizzicato (2004)
für Sprecher, Flöte, Harfe, Klavier und Perkussion

auf:
Frank Corcoran
Quasi Una Musica
Zeitklang / Composers’ Art Label 13021
(Vertrieb: Klassik Center Kassel

The Light Gleams (2006)
(nach Samuel Beckett)
für Sopran, Bassklarinette,Cello und Violine
Concorde, Ltg.: Jane O’Leary

auf: Contemporary Music From Ireland (Volume 6)
CMC 06
(Vertrieb: www.cmc.ie)

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